Ein Interview mit Friederike Baer, SEO-Expertin und Content Marketing Managerin bei der SEO Agentur rankingfusions
Barrierefreiheit spielt nicht nur für die Zugänglichkeit digitaler Inhalte eine entscheidende Rolle, sie hat auch direkte Auswirkungen auf die Suchmaschinenoptimierung. Mit dem Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) am 28. Juni 2025 werden Unternehmen dazu verpflichtet sein, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Doch was bedeutet das konkret? Und wie können technische SEO-Maßnahmen sowohl die Nutzerfreundlichkeit als auch das Ranking bei Google und Co. optimieren? SEO-Expertin Friederike Baer erklärt, warum Barrierefreiheit ein wichtiger SEO-Faktor ist und wie Unternehmen von diesen Synergien profitieren können.
Was sind die wichtigsten technischen Anforderungen, damit eine Website als barrierefrei gilt?
Friederike Baer: Die digitale Barrierefreiheit basiert auf den vier Säulen der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Diese Prinzipien lassen sich zusammenfassen in folgende Eigenschaften:
1. Wahrnehmbar: Veröffentlichte Inhalte müssen immer über mehrere Sinne zugänglich sein.
Hier ein Beispiel dafür: Akustische Signale lassen sich visuell durch Untertitel oder Audioskripte erfahrbar machen. Das ist nicht nur für Menschen mit Höreinschränkungen sinnvoll. Jede:r User:in, die:der zum Beispiel in der U-Bahn Videoinhalte konsumiert und ihre:seine Kopfhörer vergessen hat, profitiert davon. Gleichzeitig verbessert sich damit auch die User:innen Experience.
Ausreichende Kontraste sind ebenfalls wichtig für die Wahrnehmbarkeit und verbessern die Barrierefreiheit. Bei Webseiten, die mit einer starken Farbikonografie arbeiten, ist es notwendig, wenn die Farben nicht alleinige Informationsträger sind. Denn Farben werden von Menschen sehr individuell – auch kulturell – wahrgenommen.
Während Suchmaschinen eigentlich keine Farben und Kontraste „sehen“ können, beeinflussen ausreichende Kontraste die SEO indirekt durch eine verbesserte User:innen Experience, längere Verweildauer und niedrigere Absprungraten. Ausreichende Barrierefreiheit wird als Qualitätsmerkmal von SEO-Tools gemessen. Daher profitieren Websitebetreiber:innen auch strategisch davon, eine bessere Wahrnehmbarkeit umzusetzen – sowohl für ihre Nutzer:innen als auch für bessere Rankings in den Suchergebnissen.
2. Bedienbar: Alle Funktionen müssen durch alternative Eingabemethoden nutzbar sein.
Die Tastaturnavigation erhöht die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen und für Menschen, die beispielsweise gerade nicht beide Hände frei haben. Für Menschen mit dauerhaften oder temporären motorischen Einschränkungen muss das Zeitfenster für Interaktionen ausreichend groß sein. Wenn Zeitlimits unvermeidbar sind, etwa bei Formularen, muss es Nutzer:innen möglich sein, diese zu verlängern.
Wenn sich das Webdesign auf animierte Elemente stützt, sollten diese aus UX-Gesichtspunkten ausgeschaltet werden können. User:innen mit kognitiven Beeinträchtigungen könnten durch Animationen abgelenkt werden, genauso wie alle anderen Menschen, die störungsfrei lesen möchten.
Zu einer optimal bedienbaren Website gehört eine gute Navigation mit einem Fokus-Management. Dadurch wissen User:innen jederzeit, wo sie sich auf einer Website befinden und welche Optionen ihnen zur Verfügung stehen. Dies ist besonders relevant für komplexe interaktive Elemente wie Dropdown-Menüs oder Registerkarten. Die Verwendung von ARIA-Attributen wie aria-selected oder aria-activedescendant im Quellcode der Webseite hilft assistiven Technologien dabei, den Fokusstatus korrekt zu interpretieren, und erleichtert die Navigation.
3. Verständlich: Sämtliche Inhalte und Handlungsaufforderungen müssen leicht nachvollziehbar und logisch aufgebaut sein.
Eines der wichtigsten Themen in der digitalen Barrierefreiheit ist die korrekte Verwendung von Überschriftenhierarchien. Hier lässt sich die Brücke wieder zur Suchmaschinenoptimierung schlagen. Denn auch Crawling und Indexierung basieren auf klaren Regeln für die Strukturierung von HTML-Dokumenten. Zum WCAG-Prinzip der Verständlichkeit gehört auch die Vorhersehbarkeit. Dies bedeutet, dass die Struktur, Position und Benennung von Navigations- und Bedienelementen auf allen URLs einheitlich sind. Genauso wie der Mensch orientieren sich Suchmaschinenbots indirekt an diesen Qualitätsfaktoren.
Textbasierter Content sollte in einer klaren, einfachen und verständlichen Sprache geschrieben sein. Fachbegriffe oder komplexe Ausdrücke müssen für Personen ohne Vorwissen oder mit kognitiven Einschränkungen erklärt werden. Kurze Sätze und Absätze erleichtern das Lesen und Verarbeiten von Informationen und sorgen dafür, dass Inhalte besser im Gehirn abgespeichert werden können.
4. Robust: Im Zuge der digitalen Barrierefreiheit müssen Inhalte für assistive Technologien aufbereitet werden.
Valides HTML und semantische Markup-Elemente wie <main> oder <nav> sollten mittlerweile ein Standard in der Webprogrammierung sein. Trotzdem sollten diese Elemente von Anfang an konzipiert und konsequent eingesetzt werden.
Wie beeinflussen technische Maßnahmen zur Barrierefreiheit das SEO einer Website?
Friederike Baer: Digitale Barrierefreiheit und Suchmaschinenoptimierung haben enorme Synergieeffekte. Angefangen mit der Verbesserung der Pagespeed-Werte, über Überschriftenhierarchien und Responsive-Design. Durch die konsequente Umsetzung der WCAG-Richtlinien erleichtert man das Crawlen und Indexieren auch für die Webbots. Damit profitieren Unternehmen wesentlich von besserer Sichtbarkeit in den Search Engine Result Pages. In der Onlinezeitschrift absatzwirtschaft.de gaben 39 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie eine bessere Reichweite und SEO-Performance messen konnten. 38 Prozent der Befragten bestätigte in dem Artikel, dass sie nach der Implementierung höhere Umsätze und bessere Konvertierungsrate beobachten konnten.
Wir sprechen immer von barrierefrei und auch das Gesetz heißt Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – doch wie realistisch ist das?
Friederike Baer: Barrierefrei bedeutet, dass alle Inhalte und Funktionen optimal und ohne Einschränkungen zugänglich sind. Dies entspricht der höchsten WCAG-Konformitätsstufe AAA. Diese erfordert sehr anspruchsvolle Optimierungsmaßnahmen. Denn die höchste Stufe erfordert erweiterte Multimedia-Zugänglichkeit. Pre-recorded Videos müssen beispielsweise Gebärdensprache-Übersetzung enthalten. Erweiterte Audiodeskriptionen und Untertitel für Videos sind erforderlich, um visuelle Inhalte detailliert zu beschreiben. Auch wenn das einigermaßen aufwendig ist, hat es einen guten SEO-Effekt.
Ich persönlich halte die WCAG-Konformitätsstufe AA für durchaus erreichbar. Denn hier schließt sich für mich zwischen SEO und Barrierefreiheit ein idealer Kreis. Überwiegend viele Anpassungsmaßnahmen sind grundständige SEO-Tasks, die wir täglich in Webseiten überarbeiten.
Was ist der Unterschied zwischen „barrierefrei“ und „barrierearm“? Gibt es hier technische Abstufungen?
Friederike Baer: Die Konformitätsstufen für die digitale Barrierefreiheit beruht auf drei Anforderungsniveaus:
Level A: Minimalanforderungen
Es umfasst grundlegende Erfolgskriterien, die sicherstellen, dass Inhalte für Menschen mit Behinderungen überhaupt zugänglich sind. Diese sind die Maßnahmen, die als Minimalanforderung umgesetzt werden müssen:
- Alternativtexte für Bilder: Bilder müssen mit beschreibenden Alt-Tags versehen sein, damit Screenreader sie interpretieren können.
- Tastaturnavigation: Alle Funktionen der Website müssen ausschließlich mit der Tastatur bedienbar sein.
- Verzicht auf rein visuelle Hinweise: Informationen dürfen nicht nur durch Farbe vermittelt werden, zum Beispiel in Rot für Fehler, sondern benötigen zusätzliche visuelle oder textliche Hinweise.
Level AA: Standard für gesetzliche Vorgaben in vielen Ländern
Level AA ist der am häufigsten geforderte Standard in nationalen und internationalen Barrierefreiheitsgesetzen, beispielsweise in der EU gemäß EN 301 549. Es deckt die Bedürfnisse eines breiteren Spektrums von Nutzer:innen mit Behinderungen ab und verbessert die Zugänglichkeit erheblich. Zu den Mindestanforderungen kommen folgende Optimierungsmaßnahmen hinzu:
- Kontrastverhältnis: Texte müssen ein Mindestkontrastverhältnis von 4,5:1 zum Hintergrund aufweisen, um auch bei Sehbeeinträchtigungen lesbar zu sein.
- Zoomfähigkeit: Inhalte müssen bis zu 200 Prozent vergrößert werden können, ohne dass Funktionalität oder Lesbarkeit verloren gehen.
- Konsistente Navigation: Navigationselemente müssen auf allen Seiten einheitlich gestaltet sein, um Orientierung zu erleichtern.
Level AAA: Höchstes Niveau, jedoch nicht immer praktikabel
Level AAA repräsentiert das höchste Maß an Barrierefreiheit und umfasst, zusätzlich zu Level A und AA, strengere Erfolgskriterien. Diese zielen darauf ab, auch sehr spezifische Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen:
- Erweitertes Kontrastverhältnis: Texte müssen ein Kontrastverhältnis von mindestens 7:1 zum Hintergrund haben.
- Einfache Sprache: Inhalte müssen in einer besonders klaren und verständlichen Sprache verfasst sein.
- Audiodeskriptionen für Videos: Alle visuellen Informationen in Videos müssen zusätzlich als Audiodeskription verfügbar sein.
Der Ausdruck „barrierearm“ wiederum beschreibt eine teilweise Erfüllung der Anforderungen, bei der einige Barrieren bestehen bleiben. Technisch bedeutet dies oft die Umsetzung von nur grundlegenden Maßnahmen wie Alt-Tags oder Tastaturnavigation. Die Abstufung hängt von den Konformitätslevels der WCAG ab:
- Level A: Minimalanforderungen
- Level AA: Standard für gesetzliche Vorgaben in vielen Ländern
- Level AAA: höchstes Niveau, jedoch nicht immer praktikabel
Sollte das Ziel für Betreiber:innen einer Website „barrierefrei“ oder „barrierearm“ sein? Wo liegt der pragmatische Ansatz? Was sind die ersten technischen Schritte, die Websitebetreiber:innen umsetzen sollten, um dieses Ziel zu erreichen?
Friederike Baer: Mein endgültiges Ziel und Ansatz bei der Beratung für eine Websiteoptimierung ist immer die Barrierefreiheit. Es geht dabei darum, die Anforderungen aus dem BFSG und der WCAG für eine Website umzusetzen. Aber ich rate dabei nicht nach der Pflicht, sondern nach den langfristigen Vorteilen zu schauen.
Ein pragmatischer Ansatz bedeutet, sich auf die gesetzlich geforderten Mindeststandards (WCAG 2., Level A und AA) zu konzentrieren und die Umsetzung schrittweise vorzunehmen. Dies bietet folgende Vorteile:
- Erschließung neuer Zielgruppen und Umsatzsteigerung für E-Commerce-Shops
- Verbesserte Nutzer:innenerfahrung und Kund:innenbindung
- Reduzierung von Supportkosten
- Verbesserung der Suchmaschinenoptimierung-KPIs
- Rechtliche Sicherheit und Image-Gewinn
Erste Maßnahmen können bereits jetzt umgesetzt werden. Mittels Accessibilty-Audit und SEO-Audit zeigen sich die spezifischen Aufgaben, die bis zum 28. Juni 2025 in Angriff genommen werden müssen. Schon jetzt können Überschriften, Alternative Texte, interne Verlinkungen und sehr viele weitere Elemente überarbeitet werden.
Ein guter Auftakt ist eine Erklärung zur Barrierefreiheit auf der eigenen Website, die den aktuellen Status dokumentiert und Kontaktmöglichkeiten für Feedback bietet.
Barrierefreiheit und SEO: Ein wichtiger Match für mehr Sichtbarkeit
Barrierefreiheit und Suchmaschinenoptimierung gehen Hand in Hand. Durch die Umsetzung der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) verbessern Unternehmen nicht nur die Zugänglichkeit für Nutzer:innen mit Einschränkungen, sondern auch zentrale SEO-Kennzahlen wie Verweildauer, Absprungraten und Nutzer:innenerfahrung. Technische Maßnahmen wie klare Überschriftenhierarchien, valide HTML-Strukturen und alternative Texte für Bilder optimieren die Crawling- und Indexierungsprozesse von Suchmaschinenbots. Diese Synergie führt zu einer besseren Sichtbarkeit in Suchmaschinen, rechtlicher Sicherheit und einem positiven Image. Barrierefreiheit ist somit weit mehr als eine gesetzliche Pflicht – sie ist ein strategischer Vorteil für nachhaltigen digitalen Erfolg.
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