KI und insbesondere generative Sprachmodelle wie ChatGPT sind aus der Marketingwelt nicht mehr wegzudenken. Die Frage ist nicht, ob wir sie nutzen, sondern wie wir es tun. Wenn es um das Thema SEO und KI geht, hören wir in unserem Alltag die unterschiedlichsten Dinge: von KI als Zauberformel und großer Zeit- und Geldersparnis bis zu KI als Ursache für Abstrafung durch Google und den Verlust des User:innen-Vertrauens. „SEO ist tot“, sagen die einen. „Google gibt weiter den Ton an“, meinen die anderen.
Was sagen SEO-Profis dazu?
Wir haben drei erfahrene Suchmaschinen-Expert:innen gefragt, wie sie zu KI stehen und sie im Alltag einsetzen:
- Friederike Baer ist Technical SEO Managerin bei rankingfusions.
- Daniel Dietrich ist Head of SEO bei XXXLutz.
- Thomas Ottersbach ist geschäftsführender Gesellschafter der PageRangers GmbH.
Verdrängt ChatGPT Google?
Immer wieder hören wir aktuell, dass SEO aufgrund der Möglichkeit von KI für Marketer:innen ausgedient habe. Wie siehst du das?
Thomas: Das ist definitiv falsch. Wer gezielt Sichtbarkeit für ein Thema aufbauen möchte, sollte niemals auf KI-Texte allein setzen. Vielmehr ist es der Dreiklang aus SEO, KI und Hirn, der die Erfolgsformel darstellt. KI-Tools sollten als Werkzeuge angesehen werden, mit denen sich Prozesse abkürzen lassen. Es geht beim Thema KI um Inspiration, Ideenfindung, neue Blickwinkel und mehr Produktivität am Ende des Tages. Wer aber gezielt in die Sichtbarkeit kommen möchte, muss die verschiedenen SEO-Analysen und -Maßnahmen kennen und umsetzen.
Und nur der Mensch kann schlussendlich bewerten, ob der Textinhalt optimal auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen und das zuvor festgelegte Content-Ziel abgestimmt ist. KI-Texte sollte man grundsätzlich niemals ohne Anpassungen verwenden und Texte immer nach dem folgenden Motto entwickeln: Erstelle den besten Inhalt zu dem Thema, nicht den zweit- oder drittbesten Inhalt! Das sagt einiges über Anspruch und Qualität. KI-Texte gehören bestenfalls zum Mainstream, sind aber nicht herausragend.
Friederike: KI verändert die Suchmaschinenoptimierung wesentlich. Ich würde sogar sagen, dass KI SEO auf ein viel höheres Niveau bringen wird. Bisher war SEO stark von repetitiven Aufgaben geprägt. Seien es Datenauswertungen, das Erkennen und Analysieren von Korrelationen, technische Handlungserfordernisse oder das Verfassen von Content. Teilweise können diese Prozesse dank KI wesentlich beschleunigt werden. Es braucht aber nach wie vor den Menschen als Vordenker:in und Entscheider:in. SEO-Empfehlungen, die von ChatGPT oder anderen Tools erstellt werden, müssen von Expert:innen bewertet und gegebenenfalls auch als nicht relevant betrachtet werden.
Jede Website ist ein sehr individuelles Konstrukt, baut eine ganz eigene Kommunikation zwischen Unternehmen und Zielgruppe auf und kommuniziert ganz individuelle Geschäftszwecke. Bisher schaffen es KI-Tools noch nicht, absolut maßgeschneiderte Ergebnisse auszuspielen. Hinzu kommt, dass KI-Tools sich den Nutzer:innen quasi anbiedern. Ich erhalte teilweise Ergebnisse, die meinen Wünschen entsprechen, aber eben nicht der relevanten Zielgruppe. Da kommt es darauf an, Prompts richtig zu gestalten und die KI zu trainieren.
Es gibt die Tendenz von Marketingentscheidenden, viele SEO-Prozesse allein über KI-Tools abzuhandeln. Dabei leidet jedoch oftmals die Website-Qualität. Ich sehe in der Zukunft den Beruf von SEO-Manager:innen in der Weiterentwicklung der Suchmaschinen an sich. Denn es muss ja Expert:innen geben, die den Sinn und die Konstruktion von Organic Search verstehen und nicht einfach nur stumpf ausführen, was große Techkonzerne aktuell über die Google Webmaster Guidelines, Twitter und Co. kommunizieren.
Die Befürchtungen, dass mit dem Einsatz von ChatGPT oder Google Bard die Organic Search, wie wir sie kennen, dem Ende zugeht, sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Grundsätzlich haben die Konzerne immer einen kommerziellen Zweck, nämlich eigene Anzeigen zu verkaufen. Es wird meines Erachtens aber immer eine Lücke geben, bei der das Buchen von Anzeigen für Unternehmen nicht attraktiv ist. Diese Lücke können SEOs durch die schnellere Auswertung der Daten mithilfe von Mustererkennung und Machine Learning der KI besser besetzen. Wer also den Search Intent der Zielgruppe wirklich versteht, hat hier die Nase vorne.
Daniel: Ich sehe das völlig entspannt. Wir sind noch weit davon entfernt, dass eine künstliche Intelligenz komplette Arbeitsprozesse des Menschen übernehmen kann. SEO wurde schon vor vielen Jahren für tot erklärt. Gerade in den letzten zwei Jahrzehnten haben sich Rankingfaktoren in der SEO verändert, mussten immer wieder neu gedacht werden. Keyword-Stuffing ist schon lange kein Rezept für gute SEO.
Man muss sich nur mal überlegen, wie häufig Google seinen Algorithmus anpasst. 2016 waren es ca. 1.600 Updates und 2018 schon doppelt so viele. Da nun jeden Tag um die neun Updates von Google eingespielt werden, verändern sich die SERPs ständig. Zudem sinken die Klickzahlen in der organischen Suche: Da Google immer mehr Features in die SERPs spült, verschieben sich Klickzahlen immer weiter in Richtung der bezahlten Anzeigen, Shopping etc.
SEO stirbt nicht, SEO verändert sich nur! Es geht nicht darum, den Google-Algorithmus zu manipulieren, sondern die besten Inhalte bereitzustellen. Der Schwerpunkt des Algorithmus liegt schon lange nicht mehr auf Backlinks, Keyword-Dichte oder auf einer anderen bestimmten SEO-Metrik, sondern auf Nutzer:innen-Erfahrung und auf der Frage, wie die User:innen zu ihren perfekten Inhalten kommen.
Dreamteam SEO und KI?
Wo siehst du den größten Zugewinn durch generative KI für deine Arbeit beziehungsweise wo nutzt du sie schon?
Daniel: KI erleichtert und beschleunigt unsere Arbeit ungemein. ChatGPT oder Bard helfen uns beim Clustern von Themenfeldern, bringen uns auf neue Ideen, um bestehende Texte oder sogar Themenfelder zu erweitern. Solange wir vorgeben, inwiefern uns die KI unterstützt, und den Rahmen abstecken können, ist alles super. Unsere Kreativität kann eine KI aber noch nicht ersetzen.
Friederike: Die größten Zugewinne sehe ich eindeutig in der Zeiteinsparung und der feingliedrigen Datenanalyse und Auswertung. Wir als SEO-Agentur nutzen KI-Tools unter anderem auch für Content-Erstellung. Hier habe ich jedoch die Beobachtung gemacht, dass sich mein Aufwand für Briefings und Prompts erhöht hat. Die Ergebnisse, die ich erhalte, sind nicht immer zufriedenstellend. Ich überarbeite in der Regel die kompletten Texte noch einmal und erweitere sie um relevante Fakten.
Ein weiterer Anwendungsfall ist die Korrelation von Online-Marketing-Daten. Bisher war die Datenlage schon sehr gut. Aber Auswertung und darauf beruhende Empfehlungen gestalteten sich oftmals langwierig. Da SEO sehr viele Rankingfaktoren parallel über einen kurz- bis langfristigen Zeitraum betrachtet, bestand die Gefahr, dass Aspekte übersehen wurden. Mit KI ist es jetzt möglich, fast in Echtzeit die relevanten Rankingfaktoren zu erkennen.
Durch die Verbindung von SEO und KI haben wir also eine bessere Ausgangslage, um Customer Journeys besser zu verstehen, dafür den geeigneten Inhalt zu erstellen und den Kund:innen Empfehlungen zu geben. In der Zukunft können Inhalte vielleicht sogar personenbezogen erstellt werden – abhängig davon, wie sich die DSGVO und das Urheberrecht mit KI ins Verhältnis setzen. Denn es gibt mittlerweile einige Websites, die KI-Tools durch die Robots.txt-Datei aussperren.
Thomas: Dank der KI werde ich effizienter, habe mehr Zeit für die wesentlichen Dinge. Daher ist die KI ein wunderbares Werkzeug, um Recherchen vorzunehmen, neue Themen oder Fragestellungen zu identifizieren. Gerne lasse ich mir auch alternative und knackige Headlines erzeugen, die ich dann bearbeite und perfekt auf meinen Content abstimme. KI hat meinen Arbeitsalltag verändert – in vielerlei Hinsicht.
Interaktion ist Trumpf bei der Suchmaschinenoptimierung
Es wird gemutmaßt, dass Google mithilfe von Machine Learning stärker prüft, ob Suchergebnisse tatsächlich Interaktionen erzeugen. Das Verhalten der Nutzer:innen soll noch stärkeren Einfluss auf das Ranking nehmen. Wie siehst du das beziehungsweise konntest du schon entsprechende Entwicklungen feststellen?
Daniel: Das beobachten wir schon lange. Gute Rankings bleiben nicht von Dauer und erst recht nicht für die Ewigkeit. Wenn dein Content gute Rankings erzielt hat, aber keine Klicks generiert, dann sortiert Google deine Rankings nach unten, auch wenn du eine Millionen Backlinks hast. Die Nutzer:innen müssen deine Seite lieben und besuchen, erst dann erzielst du auch eine gute Platzierung in den Suchergebnissen.
Thomas: Google hat zwar mehrfach in den vergangenen Jahren betont, dass soziale Signale, also Interaktionen, Likes, Shares keinen direkten Einfluss auf das Ranking bei Google haben. Für Google spielen aber verschiedene Relevanzsignale eine übergeordnete Rolle. Inwieweit direkte oder indirekte Nutzer:innensignale – und mit welcher Gewichtung – in die Bewertung einfließen, weiß nur Google selbst. Darüber hinaus stehen Google verschiedene Metriken zur Verfügung, die zur internen Bewertung herangezogen werden, etwa technische Aspekte, Backlinks etc.
Friederike: Ich denke, dass es bisher keinen Unterschied bei der Bewertung der Interaktion von menschlich erstelltem und KI-Content durch Google gibt. Erzeugt das eine oder andere schlechte Interaktion, ist der Inhalt irrelevant für die Leser:innen. Es wird also nicht in den SERPs ausgespielt. Also: Qualität, Qualität, Qualität, Einzigartigkeit des Textes und die Vermittlung neuer Wissensstände sind rankingrelevant.
Lassen sich ChatGPT und Co. manipulieren und als Werbekanal nutzen?
Können die „Suchergebnisse“ der KI beeinflusst werden? Kann ich zum Beispiel ChatGPT dazu bringen, meine Inhalte in seine Antworten einzubauen?
Friederike: Grundsätzlich sind alle KI-Tools so aufgebaut, dass sie mich von sich überzeugen wollen, also dass ich zum Beispiel ChatGPT bevorzugt nutzen soll. Der Algorithmus lernt ständig, was ich gerne lesen möchte. Daher ist es grundsätzlich denkbar, dass nach ausreichendem Training und der präzisen Gestaltung der Prompts die KI meine Inhalte 1:1 wiedergibt. Das GPT-4-Modell, Beta-Version 12 bietet die Möglichkeit „Web Browsing“ an. Damit kann auch auf Inhalte zurückgegriffen werden, die nach 2021 ins Netz gewandert sind. Die Antworten aus der Web-Browsing-Anwendung sind jedoch nicht immer von bester Qualität.
Ich denke ohnehin nicht, dass man KI generierte Inhalte allein für Suchergebnisse veröffentlichen sollte. Viel wichtiger sind die Leser:innen und deren Informationsbedürfnis. Hier hat zum Beispiel Google eine klare Richtlinie: Im Vordergrund stehen Search Intent und Berücksichtigung des SpamBrain-Systems. Sobald Inhalte keine E‑E‑A‑T-Faktoren aufweisen, werden Suchmaschinenbetreiber die Inhalte nicht anzeigen.
Mein generelles Fazit zu SEO und KI: Wir haben hier ein tolles Werkzeug, das bei richtiger Anwendung Webinhalte wesentlich verbessern kann, solange die Grundidee des Internets beachtet wird – nämlich Wissen allen Menschen zur Verfügung zu. Daher würde ich raten, nicht immer nur nach den SEO-Anforderungen der Techkonzerne zu schielen. Websites sind immer noch wunderbare Kommunikationsmittel, um dem Informationsbedürfnis von Menschen zu entsprechen.
Daniel: Meiner Ansicht nach macht Google keinen Unterschied zwischen KI-generierten Texten und von Menschen erstellten Inhalten. Das stünde auch dem entgegen, woran Google glaubt oder wofür Google steht, nämlich nach der Suchintention der User:innen die besten Inhalte zur Verfügung zu stellen. Demnach stellt Google immer die Qualität des Inhalts als wichtigsten Faktor allem anderen gegenüber. Häufig sind KI-generierte Inhalte grammatikalisch richtig gute Texte, inhaltlich aber noch unter ferner liefen.
Allerdings kannst du grundsätzlich schon dafür sorgen, dass ChatGPT deine Inhalte in seine Antworten einbaut. Du musst nur dafür sorgen, dass der GPT-Bot dich crawlen kann und Zugriff auf deine Inhalte bekommt. Allerdings gibt es vermehrt Unternehmen, die gezielt KI-Bots für ihre Seiten aussperren – Zeitungen wie die New York Times oder Produktsuchmaschinen wie Amazon verweigern sämtlichen KI-Bots, ihre Seiten zu crawlen, um Inhalte rauszuziehen. Andere Websites wie IKEA folgen diesem Trend.
Thomas: Gezielt ist es noch nicht möglich, seine Inhalte in ChatGPT-Antworten unterzubringen. Um Suchmaschinen entsprechende Hilfestellungen zu geben, ist eine gut strukturierte Seite inklusive der relevanten Mark-ups (strukturierte Daten) zu empfehlen. Mark-ups helfen, den Inhalt einer Website besser zu strukturieren und für Suchmaschinen lesbarer zu machen. Inhalte können so einfacher analysiert und aufbereitet werden. Daher meine Tipps: Die Seiten so einfach und gut wie möglich strukturieren und Mark-ups verwenden. Denn: Google testet aktuell in ausgewählten Ländern eine neue Suche namens SGE (Search Generative Experience). Google SGE ist die Integration von generativer KI in die Google Suchergebnisse. Ab wann die neue Suche in Deutschland verfügbar sein wird, ist noch nicht bekannt. Daher unbedingt zu empfehlen: Mark-ups verwenden und die Struktur der Seite optimal auf den Nutzer ausrichten.
Quo vadis, SEO?
Im Detail mögen sich die Einschätzungen unserer Expert:innen unterscheiden und damit verdeutlichen, wie komplex und spannend die Zusammenhänge von SEO und KI sind. Im grundsätzlichen Ergebnis sind sich unsere Expert:innen jedoch einig: Unternehmen können nicht auf Suchmaschinenoptimierung verzichten – und das wird sich so schnell auch nicht ändern. Was sich jedoch ändert, und zwar schnell, ist die Art und Weise, wie wir (redaktionelle) Suchmaschinenoptimierung betreiben. Gleichzeitig eröffnet KI unzählige neue Möglichkeiten, Daten besser auszuwerten und Nutzer:innen zu erreichen. Wie gut das tatsächlich funktioniert, hängt maßgeblich davon ab, mit welchen Informationen die KI versorgt wird und wie die generierten Ergebnisse kuratiert werden.
Die drei Expert:innen
Friederike Baer ist Technical SEO Managerin bei rankingfusions. Die Berliner SEO-Agentur ist spezialisiert auf Onsite-SEO, Offsite-SEO und Content-Strategie für KMUs im deutsch-, englisch- und spanischsprachigen Raum – mit dem Ziel, deren Websites in der organischen Suche optimal zu positionieren.
Daniel Dietrich ist Head of SEO und Fachbereichsleiter Content Marketing bei der XXXLutz KG. XXXLutz gehört zu den drei größten Möbelhändlern der Welt – die Unternehmensgruppe zählt mehr als 25.000 Mitarbeiter:innen, 24 Onlineshops und 370 Filialen. Omnichannel wird hier nicht nur auf die Agenda geschrieben, sondern gelebt. Kein Wunder, dass der deutsche Onlineshop unter den Top-Playern der Branche rangiert.
Thomas Ottersbach ist geschäftsführender Gesellschafter der PageRangers GmbH. Seit über 20 Jahren ist er im Online-Business aktiv und hat verschiedene Unternehmen erfolgreich aufgebaut und veräußert. Mit dem SEO-Tool und der Content-Suite von PageRangers bietet er ein Tool-Set für Unternehmen, die ihre Website für Google optimieren wollen, einen hohen Anspruch an Inhalte stellen und den gezielten Sichtbarkeitsaufbau im Fokus haben.